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Ok, krass!

Berührungsängste: Auf Tuchfühlung mit der weiblichen Scham

Als Busenfreundin wird man in der Regel – aber auch an allen anderen Tagen des Monats – mit den unterschiedlichsten Vorurteilen konfrontiert. Neben zeitlosen Klischee-Klassikern wie Kurzhaarfrisur oder Katzenliebe werden hier und da auch neue Schubladen geöffnet, in die sich ein neugieriger Blick werfen lässt. Welches Vorurteil über lesbische Frauen uns im Zusammenhang mit Menstruationstassen zu Ohren gekommen ist, warum der Beziehungsstatus der Menschheit mit dem weiblichen Geschlechtsorgan „es ist kompliziert“ lauten würde und was das alles mit der NASA zu tun hat? Das klären wir in „Busenfreundin – das Magazin“!

Ein Gastbeitrag von Steffi Junk

„Die Erde ist eine Scheide“. Das prangt in weißen Lettern auf einem ansonsten zweckmäßig in Blutrot gehaltenen Transportbeutel einer handelsüblichen Menstruationstasse. Ebenfalls im Lieferumgang enthalten: Eine detaillierte Bedienungsanleitung inklusive liebevoll gezeichneter Erklärbilder.

Laut Angaben der Hersteller:innen hat die fliegende Untenrumtasse eine weite Reise auf sich genommen, um ihre Zielposition in unserer Vagina einzunehmen. Doch was, wenn die Menstruationstasse zwar bereit für dieses als „Expedition im Vagiversum” beschriebene Abenteuer ist, nicht aber die potenzielle Anwenderin? Und sind Lesben hier im Vorteil?

Can’t touch this

Eines steht fest: Wer sich für den Gebrauch einer Menstruationstasse entscheidet, kommt nicht umhin, sich –im wahrsten Sinne des Wortes – tiefgreifend mit dem eigenen Körper auseinanderzusetzen. Wie aus einer 2019 erschienenen Studie des Hamburger Marktforschungsinstituts SPLENDID RESEARCH hervorgeht, kneifen viele aber bei diesem Thema.

Den meisten der über 1.000 befragten Frauen zwischen 15 und 49 Jahren ist die Menstruationstasse als Hygieneartikel zwar bekannt, ausprobiert hat sie jedoch nur jede fünfte. Blutige Wiederholungstaten sind trotz der bemerkenswerten ökologischen, finanziellen und hygienischen Vorteile sogar noch seltener zu verzeichnen: Gerade einmal 13 Prozent der Befragten greifen regelmäßig beherzt zur Menstruationstasse und in die eigene Vagina.

Würde dieselbe Befragung innerhalb der lesbischen Community durchgeführt, könnte das Ergebnis anders ausfallen – zumindest wenn man einem weiteren Klischee glaubt, das kürzlich an uns herangetragen wurde. Scheinbar existiert die verblüffende Vorstellung, dass Busenfreundinnen ein besonders freundschaftliches Verhältnis zum eigenen Genital pflegen. Und was kennzeichnet eine gute Freundschaft? Richtig, man kennt sich irgendwann in- und auswendig.

Ob die Affinität homosexueller Frauen zum weiblichen Geschlecht zwischen den eigenen Beinen endet oder nicht, kann mangels belegbarer Zahlen an dieser Stelle nicht aufgelöst werden. Klar ist aber: Berührungsängste mit dem eigenen Körper können Frauen jeglicher sexuellen Orientierung betreffen. Grund genug dieses Phänomen einmal etwas eindringlicher zu untersuchen.

Die Anatomie der Scham

Aufmerksamen Leser:innen wird es nicht entgangen sein: Wortwitze zum Thema Genitalien gehen sowohl Hersteller:innen von Menstruationstassen als auch uns ohne Scham über die Lippen. Bei näherer Betrachtung entpuppt sich aber allen voran der Begriff „Scham” als schlechter Scherz.

Scham ist eine machtvolle Emotion, die unmittelbar an unsere Persönlichkeit rührt. Wer sich schämt, wähnt seinen gesamten Selbstwert in Gefahr. Zwar kann Scham auch zur Wahrung der eigenen Grenzen dienen, in den meisten Fällen verbinden wir das Gefühl jedoch mit einer tiefen Verletzung unserer Integrität. Eine derart negative Konnotation eines unserer existenziellsten Körperteile hat fast schon etwas Perfides.

Besonders dann, wenn kurzerhand die Gesamtheit der äußeren Geschlechtsorgane unter dem Sammelbegriff Scham katalogisiert wird.

Say my name, say my name

Scheinbar können wir das weibliche Genital noch nicht einmal präzise beschreiben, ohne uns in Grund und Boden zu schämen. Wer sich immerhin traut, Vagina oder Scheide zu sagen, mag zwar noble Absichten verfolgen, liegt aber anatomisch knapp daneben. Beide Begriffe beziehen sich lediglich auf die wahrscheinlich beliebteste Körperöffnung der Welt sowie den Hohlraum, der die äußeren und inneren Teile des Geschlechtsorgans miteinander verbindet. Wenn auch unbewusst, erfolgt somit eine begriffliche Reduktion auf die Abwesenheit von etwas. Auf die Leere. Das Loch.

Zur Klarstellung: Der anatomisch korrekte Begriff zur Beschreibung der äußerlich sichtbaren weilblichen Geschlechtsorgane lautet Vulva. Nachdem er lange Zeit nahezu aus unserem Sprachgebrauch verschwunden war, erlebt er aktuell eine Renaissance. Zumindest terminologisch scheint also Licht am Ende des Tunnels zu sein.

Doch wie ist es um die optische Würdigung der Vulva bestellt? Offen gesagt – die Aussichten könnten besser sein.

Das unsichtbare Geschlecht

Gesamthistorisch betrachtet, ist die Sichtbarkeit des weiblichen Geschlechtsorgans trotz moderner Liberalisierungstendenzen insgesamt rückläufig. Einst als kraftvolles Symbol für Macht und Leben verehrt, fristet die Vulva spätestens seit der Antike ein trauriges Schattendasein.

Ein Beispiel gefällig? Dort, wo männliche Statuen mit detailgetreuen Penisdarstellungen ausgestattet sind, lässt sich bei Skulpturen von Frauenkörpern im makellosen Marmor vor allem eines erkennen: Nichts!

Wie kompliziert unser Verhältnis zur Vulva auch heute noch ist, weiß die schwedische Autorin Liv Strömquist auf besonders anschauliche Weise zu vermitteln. Der – wie sie es formuliert – borderline-mäßigen Hassliebe der Menschheit zum weiblichen Geschlechtsorgan widmet sie eigens einen kompletten Comicband. Aus einer humorvollen, klugen und vor allem feministischen Perspektive thematisiert sie darin verschiedene kuriose Ausgeburten dieser verzwickten Beziehungskiste.

Eine solche Kuriosität sind die erstaunlich paradoxen Absichten hinter Schönheitsoperationen der Geschlechtsteile. Während bei Männern Vergrößerungen hoch im Kurs stehen und der Fokus darauf liegt, den Penis möglichst prominent in Szene zu setzen, sehnen Frauen sich scheinbar nach vornehmer Zurückhaltung ihrer Vulva. Ein besonders beliebter Eingriff ist die Verkleinerung der inneren Schamlippen. Erst wenn diese sich komplett unter den äußeren verstecken lassen, scheint das Schönheitsideal erreicht.

Houston, was habt ihr eigentlich für ein Problem?

Welche wortwörtlich All-umfassenden Auswüchse die Scham für das weibliche Genital annehmen kann, verdeutlicht Strömquist anhand der wohl bizzarsten Vertuschungsaktion in der Geschichte des Menschengeschlechts:

Mit einer an mögliche außerirdische Weltraumbewohner:innen gerichteten Botschaft gelang der US-Raumfahrtbehörde NASA im Jahr 1972 eine misogyne Meisterleistung. Die ins All geschossenen Informationen enthielten unter anderem eine schematische Abbildung von Mr. und Mrs. Earthling. Während Adams Penis darauf eindeutig auszumachen war, entschied man sich bei Eva aus Angst vor einem extraterrestrischen Shitstorm dazu, die mit einem winzigen Strich ohnehin nur halbherzig angedeutete Vulva lieber komplett aus dem Post zu entfernen.

Scheinbar wollte man unbedingt vermeiden, dass die Aliens auf falsche Gedanken kommen: Nämlich, dass zwischen den Schenkeln einer Frau etwas anderes herrschen könnte, als gähnende Leere. Dass bis zum heutigen Tage trotz aller Bemühungen kein einziges Alien der Spezies Mensch bei Instastellar folgt – geschenkt.

Schluss mit dem Genitalien-Ghosting

Aus dem All betrachtet, ist die Erde also keine Scheide. Und eine Vulva erst recht nicht. Wie dem auch sei. Maßgebend ist am Ende ohnehin unsere eigene Perspektive. Wie wollen wir selbst – ganz gleich, ob Busenfreundin oder nicht – die Beziehung zu dem Teil unseres Köpers gestalten, den der Künstler Gustav Courbet einst als den Ursprung der Welt bezeichnete? Ein wirklich klangvoller Name, der im Übrigen auch als deutscher Titel für den besagten Comic von Liv Strömquist gewählt wurde.

Ab sofort – um den eigenen Standpunkt zu verdeutlichen – nur noch vom Ursprung der Welt zu sprechen, wenn es um die Vulva geht, wäre aber vielleicht etwas zu viel des Guten. Wahrscheinlich würde für den Anfang schon genügen, sie ganz bewusst nicht mehr zu ghosten – weder sprachlich noch im persönlichen Kontakt. Ist die erste Annäherung geglückt, sind Commitment und Geduld gefragt. An eine langfristig liebevolle Beziehung zur eigenen Vulva gilt es sich im wahrsten Sinne des Wortes langsam heranzutasten. Probiert es doch einfach mal aus. Wir sind uns sicher: Es lohnt sich!


Habt ihr Berührungsängste mit (euren) Genitalien? Sollte der Umgang mit solchen Themen offener werden? Hinterlasst uns einen Kommentar!



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