Autorin: Patricia Bauer
Corona macht auch vor Safe Spaces für LGBTIQ+ nicht halt: Heute ist es auf den Tag genau ein Jahr her, dass das Berliner SchwuZ seine Pforten schließen musste. Wir sprachen mit SchwuZ-Geschäftsführer Marcel Weber über die Corona-Krise, den hohen Stellenwert von Begegnungsstätten und die Zukunft des Clubs. Was macht das SchwuZ besonders und was lässt sich Positives aus der Situation ziehen? Wie könnt ihr unterstützen? Das klären wir in „Busenfreundin – das Magazin”!
Marcel Weber ist 41 Jahre alt und Geschäftsführer des SchwuZ in Berlin. Außerdem ist er Mitglied des geschäftsführenden Vorstands der Berliner Clubkommission – die (queere) Clubszene kennt er wie seine Westentasche.
Busenfreundin-Magazin: Marcel, was ist das Besondere am SchwuZ?
Marcel Weber: Das SchwulenZentrum (kurz: SchwuZ) ist ein Ort großer Vielfalt – das betrifft sowohl unsere Gäste als auch das Programm! Schon immer eine Instanz des Aufbegehrens und der Emanzipation nicht-heteronormativer Lebensweisen feiern wir hier heute zusammen als Männer und Frauen oder nichts von beidem, weiße oder Schwarze Queers, Queers of Color, trans– oder intergeschlechtliche Menschen, Lesben und Schwule, Bartmädchen, Tunten, Butches und Femmes, Personen mit und ohne Behinderungen, Migrant_innen, Jung und Alt und noch so viel mehr. Das SchwuZ ist ein offenes Haus für alle!
Bis heute ist das SchwuZ ein außergewöhnliches Projekt, das von enormem professionellen wie ehrenamtlichen Engagement, flachen Hierarchien und dem Willen für eine emanzipatorische und vor allem dialogische Entwicklung lebt.



Busenfreundin-Magazin: Was kannst du uns zur Gründungsgeschichte erzählen?
Marcel Weber: Im August 1971 gründete sich die Homosexuelle Aktion Westberlin, kurz HAW. Ein wichtiger Impuls hierfür war der Film „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt” von Rosa von Praunheim. Aus dieser vorwiegend politisch agierenden Gruppe heraus entstand 1977 das SchwulenZentrum – zunächst als selbstverwalteter Kommunikationstreffpunkt. Hier kamen Arbeitsgruppen zu emanzipatorischen Themen zusammen, Aktionen wurden vorbereitet und viele neue Projekte wie das Stadtmagazin Siegessäule, der Buchladen Prinz Eisenherz, die Schwulenberatung und der erste CSD 1979 auf den Weg gebracht.
Gefeiert wurde natürlich auch: Schwule Partys, Filmabende und das Café im SchwuZ zogen einen immer größer werdenden Freund:innen-kreis an. Quer durch alle Altersgruppen war das Haus vorwiegend von politisch aktivem, links-alternativen Publikum geprägt. Ein idealer Nährboden für die Entfaltung der legendären Berliner Tunten-Kultur, zu deren Entstehung das SchwuZ einen entscheidenden Beitrag leisten konnte. Denn von Anfang an war ein wesentliches Anliegen, Künstler:innen Raum für Proben und Auftritte zu ermöglichen.
Busenfreundin-Magazin: Erzähl uns mehr über die Veranstaltungen im SchwuZ. Wie haben sich die Veranstaltungsreihen entwickelt? Welche Künstler:innen traten auf?
Marcel Weber: Großartige Acts, die die Zeit überdauern, sind hier entstanden: Melitta Poppe, Chou Chou de Briquette, BeV Stroganoff, Melitta Sundström und Pepsi Boston. Und natürlich auch Matthias Frings, die Teufelsberg Showproduktion, Cora Frost und Rosenstolz.
In den 90er Jahren schließlich erlebte Berlins Szene einen wahren Boom an neuen Partyreihen: der Club 69, die Houseboys oder die legendäre Cockerparty haben allesamt im SchwuZ ihre Wurzeln. Mit zunehmender Beliebtheit wuchs aber auch der Wunsch, den größeren Publikumsströmen Rechnung zu tragen. So ist das SchwuZ, das übrigens bis heute aus dem 1995 gegründeten Trägerverein SchwuZ e.V mit seinem offenen Plenum und der ein Jahr später ins Leben gerufenen SchwuZ Kulturveranstaltungs GmbH besteht, innerhalb Berlins mehrere Male umgezogen: Von der Kulmer Straße in Schöneberg, wo die Anfänge liegen, ging es über die Kulturfabrik in der Hasenheide und dem Mehringdamm in Kreuzberg schließlich in die Rollberstraße in Neukölln, wo wir seit November 2013 zu Hause sind.
Der Standortwechsel in die alte Kindl-Brauerei in Neukölln ist für das SchwuZ auch politischer Auftrag. Unser Anspruch unterschiedliches, kulturelles Leben miteinander zu verbinden und ein Teil dieses aufregenden Kiezes zu sein, ist dabei ein wesentlicher Motor. Größere Veranstaltungsflächen bieten zudem neben dem Clubbetrieb auch Platz für weitere Ideen und Aktionen: Neue Impulse, wie die für arte produzierte Konzertfilmreihe Berlin live, Ausstellungen und Diskussionsforen ebnen einem breiten Publikum den Weg zu uns.



Busenfreundin-Magazin: Wie geht ihr aktuell mit der Corona-Krise und eurem Business um? Was macht ihr alternativ? Gibt es Online-Veranstaltungen?
Marcel Weber: Am 13. März 2021 haben wir genau ein Jahr geschlossen. Wir haben in dieser Zeit verschiedene Aktionen und Produktionen auf die Beine gestellt. Angefangen von Crowdfunding-Kampagnen auf GoFundMe und StartNext über die Einrichtung eines regelmäßigen LiveStreams von und für die queere Community bis hin zur Umsetzung von digitalen Veranstaltungsformaten für Musiklabels oder gemeinnützige Organisationen.
Außerdem bieten wir unsere Räumlichkeiten unter Einhaltung höchster Hygienestandards als Drehlocation. Wir haben auch einen eigenen Webshop aufgebaut, in dem es zum Beispiel unseren SchwuZ Pralinen Team-Soli-Kalender gibt, für den sich insgesamt 16 Menschen aus dem SchwuZ in selbstgewählten erotischen Posen ablichten haben lassen. Das meiste davon ist uns nur möglich, da es ein großes ehrenamtliches Engagement in unserem Team und aus unserem Umfeld heraus gibt. Gewinne erwirtschaften kann man damit nicht.
Busenfreundin-Magazin: Warum ist in euren Augen die queere Clubszene so wichtig? Was löst der Wegfall der Safe Spaces aus?
Marcel Weber: Weil wir ein Ort der Begegnung sind. Und gerade in Zeiten von Kontaktbeschränkungen merken wir alle, wie sehr uns der Kontakt zu anderen Menschen fehlt. Selbst die kleinste Umarmung könnte wahrscheinlich so manche Seele trösten. Und das SchwuZ ist natürlich für viele Menschen ein geschützter Raum, in dem sie ab der normativen Welt mit Menschen gleicher Einstellung und Haltung zusammenkommen können, ohne sich darüber Gedanken machen zu müssen, wie sie wirken, was sie jetzt dürfen und wovon sie lieber Abstand nehmen sollten. Und um sich zu schützen vor Diskriminierung, Stigmatisierung oder Gewalt.
Da das SchwuZ ein Ort mit niedrigen Barrieren ist, ist der Wegfall umso schmerzlicher. Denn es gibt ja auch außerhalb des SchwuZ aktuell so gut wie gar keine Möglichkeiten für queere Menschen zusammenzukommen. Keine Bars, keine Theater, keine Vereinstreffen oder Selbsthilfeangebote, keine Konzerte oder Bühnenshows, keine Workshops oder Café- und Restaurantbesuche. Vielen Künstler:innen und Performer:innen fehlt aktuell jede Auftrittsmöglichkeit. Auch das löst zum Beispiel Existenzängste, Depressionen oder gar Suizidgedanken aus. Das macht uns alle unendlich hilflos und traurig.



Busenfreundin-Magazin: Wie geht ihr damit um, wenn die Corona-Maßnahmen langsam gelockert werden? Man kann ja leider nicht von heute auf morgen wieder zur Normalität zurückkehren.
Marcel Weber: Wir werden durchhalten und werden immer sehr genau und umfassend prüfen und beratschlagen, was wir unter welchen Bedingungen wieder an Angeboten für die queere Community möglich machen können. Denn natürlich ist auch für uns der Schutz des Lebens (vor allem der Schutz vulnerabler Personen) von höchster Bedeutung.
Gleichzeitig wissen wir, dass queere Menschen wieder in sicheren Umgebungen zusammenkommen wollen. Vielleicht gibt es im Sommer Veranstaltungen und Zusammenkünfte (mit Hygienekonzept) unter freiem Himmel oder ab dem Herbst Bar-Betrieb mit Abstand und Tischservice. Vielleicht auch ehrenamtlich organisierte Aktionen wie Tuntenspaziergänge oder queere Radtouren. All das schwebt uns bereits als Ideen in den Köpfen und wir werden hoffentlich einiges davon zur Umsetzung bringen.
Busenfreundin-Magazin: Was hat euch die Corona-Krise gelehrt?
Marcel Weber: Dass gegenseitiges Vertrauen, Solidarität, Zusammenhalt und das Füreinandereinstehen die wichtigsten Werte sind. Die Kooperationsbereitschaft ist auch nach fast einem Jahr der Pandemie noch immer riesig. Natürlich ist es nicht mehr so überwältigend wie zu Beginn. Und dennoch haben wir gelernt, wie dankbar wir sein können für die Wertschätzung und Liebe, die uns entgegengebracht wird. Davon geben wir hoffentlich auch wieder ganz viel zurück, wenn wir wieder Menschen bei uns begrüßen dürfen.
Busenfreundin-Magazin: Nehmt ihr eine stärkere Solidarität innerhalb der LGBTIQ-Szene wahr?
Marcel Weber: Wie gerade schon beschrieben ist die Solidarität nicht nur innerhalb sondern auch mit der LGBTIQ-Szene gewachsen. Denn vieles, was als selbstverständlich hingenommen wurde, fehlt jetzt – und zwar nicht nur den Queers. Da überlege Mensch sich doch mal, wie arm die Kultur plötzlich ist – nicht nur weil das Angebot gerade fehlt – sondern, weil Kultur auch von vielen queeren Menschen gemacht wurde. Und da es eben nicht selbstverständlich sein sollte, sind wir umso erfreuter, dass die Solidarität auch über unsere eigene Blase hinweg großen Zuwachs genießt. Danke an alle Allies da draußen.
Busenfreundin-Magazin: Inwiefern und wo kann man euch unterstützen?
Marcel Weber: Ihr könnt uns natürlich immer unterstützen, indem ihr eine kleine Spende da lasst oder auch in unserem Webshop einkauft. Die Infos findet ihr alle auf unserer Webseite: www.schwuz.de.
Und am 13.02.2021 haben wir zum traurigen 1-jährigen Jubiläum unserer Schließung einen Livestream der sich unter dem Titel „SchwuZ TV – 1 JAHR SCHWUZ IM LOCKDOWN“ ab 20 Uhr weiblichen Ikonen widmet. Der Termin liegt nah am 8. März und damit dem Frauenkampftag. Das komplette Showprogramm ist deshalb den persönlichen weiblichen Ikonen der Performer:innen gewidmet.
Geschlechternormen und Weiblichkeitsfeindlichkeit trifft neben Frauen auch feminine Männer, Tunten, Schwule & Drags. Wir finden Weiblichkeit aber großartig und so setzen wir mit diesem Stream ein Zeichen für mehr Tuntigkeit und für mehr Sichtbarkeit für weibliche Ikonen und Künstler:innen. Die Zuschauer:innen erwartet dabei ein fulminantes Showprogramm mit Dragperformances, Live-Gesang, Comedy und interaktiven Attraktionen.
Mit dabei sind Happy Reincarnation, Ellie Caballé, Victoria Bacon & Anna Klatsche, Strawberry KaeyK, Ocean, Viola De Vil, Biggy van Blond & Edith Schröder, Judy LaDivina, Levita, Jurassica Parka, der Siegessäule, Lili Sommerfeld, Carolina, Destiny Drescher, Fixie Fate, Miss Moe Tivation, Katana Six, Victoria Hell, Cordova, Ruco LaPesto, La Papi Patacon, Karlie Kant, Faux Katja uvm. Die Moderation übernehmen Chantello und Sookee.
Habt ihr schon mal das SchwuZ besucht? Wie geht es euch ohne Clubs in diesen Zeiten? Erzählt uns eure Erfahrungen in den Kommentaren!
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