„Goldstar” – um diesen Begriff kommt man in der LGBTIQ+-Community nicht herum. Was genau hat es damit auf sich? Sind Goldstar-Lesben und Goldstar-Gays die Krone der (homosexuellen) Schöpfung? Was ist daran problematisch? Kann auch gay sein, was nicht wie ein goldener Stern glänzt? Das und mehr lest ihr in „Busenfreundin – das Magazin”!
Ein Gastbeitrag von Steffi Junk
Obwohl im LGBTIQ+-Kontext ein sensibler Umgang mit Sprache unabdingbar ist, wollen wir bei Busenfreundin nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen. Bei dem Begriff, um den es heute geht, sprechen allerdings gewichtige Argumente dafür. Denn auch in der queeren Community wird mitunter mit zweierlei Maß gemessen. Beispielsweise dann, wenn es um den Zugehörigkeitsgrad zur eigenen Community geht – denn queer ist scheinbar nicht gleich queer.
Wer genügend Zeit damit verbringt, die Weiten der Pride-Prärie zu durchstreifen, stolpert früher oder später über den Begriff „Goldstar”. Was niedlich klingt, ist in Wahrheit eine – eher fragwürdige – Auszeichnung in der queeren Welt. Während sich der Begriff Goldstar-Gay vor allem bei Goldstar-Guys durchgesetzt hat, wird das weibliche Pendant meist als Goldstar-Lesbian bezeichnet. Laut Urban Dictionary gilt eine lesbische Frau dann als goldveredelt, wenn sie noch nie mit einem Mann geschlafen hat.
Wir leben in einer LGBTIQ+-Ära, die vom Diskurs darüber geprägt ist, ob das binäre Geschlechtermodell noch zeitgemäß ist. Außerdem enthält die Langform von LGBTIQ+ (diese lautet LSBPATIQACMNSDQOMOS) mehr Buchstaben als eine Packung Russisch Brot. Da wirkt ein exklusives Label wie „Goldstar” fast schon antiquiert und irgendwie fehl am Platz, oder?!
Doch auch wenn ihre 15 Minuten des Ruhms bereits vorbei sein mögen – in der Versenkung verschwunden ist die hochkarätigste der queeren Kategorien damit noch lange nicht. Grund genug für uns, das Goldstück einmal genauer unter die Lupe zu nehmen.
Auf einer Skala von eins bis gay
Woher kommt dieses starke Bedürfnis nach Differenzierung innerhalb der queeren Community?
Eine mögliche Erklärung könnte die – in Abgrenzung zur heteronormativen Welt – überhaupt vorhandene Notwendigkeit einer Klassifizierung sein. „Wann hast du zum ersten Mal gemerkt, dass du heterosexuell bist?“ ist eine Frage, die grundsätzlich nicht gestellt wird. Bevor eine heterosexuelle Frau mit einem Mann geschlafen hat, ist sie eine Jungfrau. Danach nicht mehr. Damit sind die offensichtlichen Differenzierungsoptionen der Heterosexualität ausgeschöpft. Doch was ist, wenn eine lesbische Frau zum ersten Mal mit einem Mann schläft? Ist sie dann plötzlich bisexuell? Oder gar hetero?
Dass heterosexuelle Frauen manchmal auch mit Frauen schlafen, ohne sich deshalb gleich ein anderes Label zu geben, ist scheinbar allgemein akzeptiert. Wenn überhaupt eine Zuschreibung getroffen wird, liegt diese meist irgendwo zwischen „offen“ und „experimentierfreudig“. Bei homosexuellen Frauen – beziehungsweise queeren Personen im Allgemeinen – wird die Kontinuität sexueller Orientierung scheinbar weit weniger selbstverständlich vorausgesetzt. Vielmehr sieht es so aus, als wäre der Wunsch nach einer regelmäßigen Rückversicherung bezüglich der „Echtheit“ der Sexualität hier besonders groß.
Mit der Abgrenzung von der Heteronorm scheint automatisch eine Art Nachweispflicht einherzugehen. Mitunter kann diese sogar eine juristische Wirkung entfalten. So zum Beispiel bei der Durchführung von Asylverfahren queerer Menschen in Deutschland, die in ihrer Heimat wegen ihrer sexuellen Orientierung verfolgt wurden. Sie berichten von oft stundenlangen, entwürdigenden Anhörungen, in denen sie ihre Homosexualität „beweisen“ sollten.
Ein Goldstar zu sein, kann in dieser Situation nicht nur einen juristischen Vorteil bedeuten, sondern im Extremfall sogar Leben retten.
Bist du mein Stern?
Neben dieser existenziellen Frage nach Sicherheit klingt in der Goldstar-Ideologie jedoch auch noch eine andere, eher zwischenmenschlich verankerte Dimension von Sicherheitsbedürfnis nach: Der Wunsch nach Stabilität und Commitment in der Partnerschaft.
Natürlich ist die konstante Vorliebe für ein bestimmtes Geschlecht keine Garantie für eine gelingende Beziehung. Dennoch scheint in ihrer Unbeständigkeit eine nicht zu unterschätzende Bedrohung zu liegen. Wenn der geliebte Mensch seine sexuellen Präferenzen schon einmal verändert hat, wird er es dann wieder tun? Was, wenn ihm in der Beziehung mit mir etwas fehlt?
So irrational es klingen mag – einen Goldstar als Partner:in zu haben, kann tatsächlich die Angst verringern, diese:n an eine andere Person zu verlieren. Und wenn es nur der Tatsache geschuldet ist, dass der Teich, in dem gefischt wird und wurde, schlicht und ergreifend kleiner ist.
Wo Starlight ist, ist auch Schatten
Ob die statistische Wahrscheinlichkeit, dass eine Goldstar-Lesbe auch künftig keine Affinität für Männer entwickeln wird, tatsächlich geringer ist, sei einmal dahingestellt. Zweifellos rührt das Goldstar-Phänomen jedoch an ein Thema, über das nicht gerne gesprochen wird. Wir tun es trotzdem: Ja, auch innerhalb der LGBTIQ+-Community findet Diskriminierung statt. Der Ton des Goldstar-Begriffs knüpft dabei an elitäre Narrative an: Es entsteht eine Hierarchie frauenliebender Frauen. Darin werden unter anderem bisexuelle Frauen von selbsternannten „echten Lesben“ systematisch herabgesetzt.
Darüber hinaus bedient der Goldstar-Mythos ein Klischee, das so alt zu sein scheint, wie die weibliche Homosexualität selbst. Es lautet: Lesben hassen Männer. Und da Hass bekanntermaßen der kleine Bruder von Ekel ist, liegt es natürlich nahe, dass lesbische Frauen sich vor allem ekeln, was einen Mann berührt hat (Bohrmaschinen, Boxershorts und Bierdosen natürlich ausgenommen). Dieser Logik folgend, ist die Goldstar-Lesbe der Jackpot unter den potenziellen Partnerinnen.
Was bei aller Polemik jedoch nicht übersehen werden darf, sind jene Vorbehalte gegenüber Männern, die als Folge von (sexuellen) Gewalt- oder Missbrauchserfahrung entstehen können. Wem selbst Schreckliches durch einen Mann angetan wurde, kommt möglicherweise die uneingeschränkte Empathie dafür abhanden, dass die eigene Partnerin sich auch zu Männern hingezogen fühlt oder in der Vergangenheit fühlte. Daran gibt es nichts zu verdenken oder zu verurteilen.
Im Kontext sexueller Gewalt zeigt sich zudem eine weitere Ebene, auf der ein harmlos anmutendes Label wie Goldstar problematisch werden kann. Per Definition würde es nämlich auch einer Person, die Opfer einer Vergewaltigung durch einen Mann wurde, nicht mehr zustehen. Spätestens wenn man sich in diesem Zusammenhang einmal mit der Praxis so genannter „Corrective Rapes“ an lesbischen Frauen auseinandergesetzt hat, die vor allem in Südafrika traurige Berühmtheit erlangte, wird man den üblen Beigeschmack der goldigen Auszeichnung nicht mehr los.
Höher, gayer, weiter
Ein weiterer Aspekt wirkt – auf den ersten Blick – wesentlich weniger tragisch. Vor dem Hintergrund der vielfältigen psychischen Belastungen, denen immer mehr Menschen – insbesondere auch in der LGBTIQ+-Community – ausgesetzt sind, ist er dennoch nicht zu unterschätzen.
Wir leben in einer Gesellschaft, in der Wettbewerb und Leistungsdruck längst auch den privaten Raum erobert haben. Den lieben langen Tag wird gezählt, gemessen und getrackt. Abends fragen wir dann unser Smartphone: Wer kann’s denn nun am besten im ganzen Land? Die Antwort erhalten wir im härtesten Bootcamp der Welt – unserem Social-Media-Feed. Nie haben Sartres Worte mehr Sinn ergeben, als beim abendlichen Scrollen auf der Couch, während die andere Hand verstohlen in der Chipstüte steckt: „Die Hölle, das sind die anderen”.
Die Angst, nicht zu genügen, ist scheinbar allgegenwärtig. Wo Mittelmaß als Feindbild gilt, kann das Goldstar-Label zum begehrten Superlativ werden. Wenn ich schon nicht am schönsten, klügsten oder besten bin, dann doch bitte wenigstens am gaysten. Innerhalb der schwulen Community hat man diesen „Clash of the Gays” mit einem Augenzwinkern auf die Spitze getrieben: Hier gibt es neben dem Goldstar-Gay auch den so genannten Platinum-Gay. Dieser wurde per Kaiserschnitt geboren und ist daher – buchstäblich – noch nie im Leben mit einer Vagina oder Vulva in Berührung gekommen.
Stern oder schnuppe?
Weitere Auszeichnungen – zum Beispiel für Schwule, die nicht gestillt wurden oder Lesben aus künstlicher Befruchtung, deren Zeugungsvorgang gänzlich ohne Penetration auskam – sind uns bisher nicht bekannt. Dennoch scheint der Griff nach den Goldstars innerhalb beider Communities einen besonderen Reiz zu besitzen.
Vielleicht liegt es daran, dass es in der Lebenswelt von LGTBIQ+-Personen besonders häufig mit negativen Erfahrungen verbunden ist, aufzufallen oder anders zu sein. Der Wunsch danach, in einem positiven Sinne etwas ganz Besonderes zu sein oder zu finden, wird dadurch möglicherweise umso größer.
Eines sollten wir bei unserer Suche nach dem Goldschatz am Ende des Regenbogens jedoch nicht vergessen:
Betrachtet man das gesamte Bild, sind wir letztlich alle nur aus Sternenstaub.
Was haltet ihr vom Goldstar-Phänomen? Schmückt ihr euch gerne mit Bezeichnungen wie dieser oder ist das eurer Meinung nach Humbug? Verratet es uns in den Kommentaren!
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