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Ok, krass!

Generation Gay: Warum wir die Pride-Season 2020 trotzdem feiern sollten

Samstag, 13 Uhr.  Das rote LIVE-Lämpchen auf dem YouTube-Kanal von „schwanz&ehrlich“ beginnt zu leuchten. Ich sitze ohne große Menschenmassen vor meinem Laptop verfolge die erste digitale Pride-Veranstaltung. Corona macht’s möglich. Es ist verrückt, aber eine kleine Welle der Euphorie erreicht mich. 

„Happy Pride!“-Wünsche, Rainbow-Flags und die drei Podcast-Boys sind zu sehen, die nach wochenlanger Organisation den Startschuss für die Pride-Season setzen. Nach meinem Empfinden war der gegenseitige Support innerhalb der LGBT-Community in diesen Tagen so spürbar wie nie. Die gegenwärtige Pandemie bremst zwar das Live- und Eventgeschäft massiv aus, aber nicht den Solidaritätsgedanken der LGBT-Community.

Wer dachte, dass sich die ‚Generation Gay‘ und deren Unterstützer durch Covid-19 in die Knie zwingen ließe, wurde vergangenen Samstag eines Besseren belehrt.

Pride! at home Busenfreundin - Das Magazin

Initiiert durch die Macher des LGBT-Erfolgspodcasts „schwanz&ehrlich“ fand zum ersten Mal in der deutschen Geschichte ein Digital-CSD statt, die „Pride! at Home“. Und das mit großem Erfolg. In Zeiten von pixeligen Livestreams, hysterischen Fragen bei Tonproblemen wie „Hallo? Hörst Du mich? Hallo??“ ein Meilenstein, auf den man stolz sein kann.

8.000 Euro Spendengelder, 23 Acts, One Love

23 Künstlerinnen und Künstler erklärten sich bereit, aus ihren Wohnzimmern oder ihren selbstgebauten und durchaus bunt dekorierten Studios die „Pride! at Home“ zu unterstützen. In kaum einem anderen Livestream-Event wurde bisher so viel Make-Up getragen (hier zogen insbesondere Drag-Queens wie Marcella Rockefeller den Schnitt hoch), so viel Glitzer sowie Liebe verteilt.

Auch die Zuschauer honorierten die Veranstaltung, riefen den Livestream über 30.000 Mal auf und spendeten über 8.000 Euro. Davon wird eine Hälfte an den “CSD Deutschland“, die andere Hälfte an die Künstlerinnen und Künstler der Veranstaltung gehen. Insofern ein gelungener Auftakt der coronabedingten Streaming-Version des Christopher Street Days.  Ganz ohne Trucks, Trillerpfeifen und Tanzbühnen; aber mit Haltung und (politischen) Botschaften.

Pferdemasken & Hitze: Erinnerungen an meinen ersten CSD

Nach meinem ersten Besuch des Kölner Christopher Street Days im Jahr 2013 zog es mich auch in den Folgejahren auf die Pride-Veranstaltungen. Und ich kann es nur jedem empfehlen. Gut, zugegebenermaßen war auch ich zum damaligen Zeitpunkt etwas überfordert, als ich erstmalig eine Gruppe von erwachsenen Männern in Leder Chaps und Pferdemasken sah. Nicht, weil ich offene Gesäßbereiche an Hosen merkwürdig finde (naja, doch!), sondern weil ich mir die Zeit bis zum einsetzenden Hitzetot unter einer Latexmaske bei sommerlichen Temperaturen von 34 Grad Celsius recht kurz vorstellte.

Das alles war aber nebensächlich, weil Christopher Street Days gelebte „love-is-love”-Hashtags mit Offline-Reichweite sind. 2019 knackte der Kölner CSD einen Besucherrekord und brachte über eine Millionen Menschen aus aller Welt zusammen, die für die Rechte von Menschen mit LGBT-Background demonstrierten (diese Info in Zeiten von Social Distancing zu droppen fühlt sich fast ein bisschen illegal an).  Wobei der Begriff „Demonstration“ in meiner Denke stets mit der Assoziation von Wasserwerfern und Hundertschaften einhergeht.  

Im Falle der Kölner CSD-Veranstaltung nahm ich es anders wahr. Es war eher eine Mischung aus Aktivismus, 2,0 Promille und den ‚Guilty Pleasure‘-Songs der eigenen (heimlich geführten) Spotify-Playlist. Es ist genau diese Kombination, die die LGBT-Community und deren Supporter zusammenführt.

Solidarität in Zeiten von LGBT-freien Zonen in Polen

Allerdings geht es nicht überall so harmonisch zu wie beim CSD 2019 in Köln oder bei der „Pride! at Home“. In der Busenfreundin-Episode, die kommenden Sonntag erscheint, sprach ich mit der EU-Abgeordneten Terry Reintke über die aktuelle Lage in Polen. Vor, während und nach unserem Talk wurde mir erneut bewusst, wie wichtig CSD-Veranstaltungen sind, um gegen Homophobie und Intoleranz anzukämpfen. Egal ob on- oder offline.

In Deutschlands Nachbarland Polen steht es schlecht um ein tolerantes und diverses Miteinander. 1/3 des polnischen Staatsgebietes wird zum aktuellen Zeitpunkt als LGBT-freie Zone deklariert, initiiert von der nationalkonservativen PIS-Regierung. Grund dafür ist die (absurde) Annahme, die „importierte LGBT-Ideologie“ zerstöre das traditionelle Familienbild.

Auf einer digitalen Weltkarte, dem „Atlas des Hasses“ ist das Trauerspiel dieser geförderten Homophobie rot eingezeichnet (checkt das ruhig mal).

Ich wurde seinerzeit gefragt, warum dies bei mir überhaupt Thema sei. Es betreffe uns als deutsche Bevölkerung doch nicht. Gut, wenn man grundsätzlich einen eher eingeschränkten Denkradius für sich wählt, ist das eine berechtigte Frage. Ich denke allerdings, dass wir alle Teil der Europäischen Union sind und darauf aufmerksam machen sollten, was in anderen EU-Ländern passiert. Nicht umsonst wird die EU als „Wertegemeinschaft“ bezeichnet, was sich auch im EU-Vertrag widerspiegelt. Die Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Rechte von Personen, die einer Minderheiten angehören, sind darin verankert. Aber auch Werte wie Gleichheit und Toleranz. 

Online-CSDs sind daher eine hervorragende Möglichkeit, um trotz der Reiseeinschränkungen die Situation in Polen offen zu thematisieren.

Am 17. Mai 2020 findet der Internationale Tag gegen Homophobie (IDAHOBIT) statt. Auch hierzu gibt es einen Livestream. In meinen Augen sollte man diese Online-Events unterstützen. Und wer sagt eigentlich, dass man im eigenen Wohnzimmer keine Konfettikanonen abfeuern kann? Und hey – ihr könnt das Ganze praktischerweise auch in eurer Jogging-Hose mitverfolgen. Ich bin mir ganz sicher, dass der Spirit auch durch pixelige Livestreams nicht verloren geht. Vorausgesetzt, ihr seht das rote LIVE-Lämpchen auf den Streaming-Plattformen leuchten.

Liebe Grüße und happy Pride, ihr Lieben!
Ricarda


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Autorin: Ricarda

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5 comments

  1. Hallo Ricarda,

    vorab muss ich erstmal sagen, dass ich den Artikel wirklich gut finde. Abgesehen vom ganzen Magazin, bei dem ihr alle wirklich eine grandiose Arbeit leistet.

    Ich hab gedacht ich nutze mal die Kommentarfunktion um hier etwas beizutragen. Ich war ein wenig geschockt, als ich den “Atlas des Hasses” gesehen habe. Mir war nicht bekannt, dass es so etwas gibt, was die homophobe Situation mancher Länder so klar veranschaulicht. Jedoch kenne auch ich die Situation in Polen und kann, genauso wie über Russland, nur den Kopf schütteln. Ich selber habe einmal eine Diskussion mit Menschen polnischer Herkunft geführt, welche sich genau um dieses Thema drehte. Warum bist du Homosexuell, das ist eine Strafe, eine Sünde und gehört verhasst.
    Im Folgenden Teil kommst du dann zu der gestellten Frage, “warum einen das so interessieren würde, da es ja nicht Deutschland und somit auch nicht uns betrifft”. Deine Antwort dazu unterschreibe ich sofort. Ich kann dazu nur sagen, zum Glück!! Zum Glück lebe ich in einem Land, in dem die Homosexualität weitestgehend akzeptiert wird und man somit keine Angst vor gesetzlichen Folgen/ Strafen haben muss. Dennoch ist es mir absolut nicht egal, was in den Ländern passiert, die direkt an Deutschland grenzen. Ich meine, Polen grenzt direkt an Ostdeutschland und ist somit für manche nur einen Katzensprung entfernt. Hinzukommend, wie du schon gesagt hast, gehört es zur EU. Und um nochmal auf den Punkt “betrifft uns ja nicht” zurückzukommen, die Menschen, die in Polen, Russland etc. leben und ebenfalls LGBTQ+ Background haben, gehören genauso zur Pride-Family, wie die Menschen, die hier in Deutschland leben. Mir, hier in Deutschland gibt es also auch das Gefühl, dass ich, so wie ich bin in Polen nicht akzeptiert, gar ausgegrenzt und bestraft werde. Das alles in einer Europäischen Union, die eigentlich für Zusammenhalt, Wertegemeinschaft, Toleranz und Gemeinschaft gilt. Die Würde des Menschen ist unantastbar und das nicht nur in Deutschland, sondern überall auf der Welt. Es sorgt bei mir also für sehr unangenehme Gänsehaut, wenn ich daran denke, dass es auch hier in der EU noch Länder gibt, die die Homosexualität bestrafen! Möglicherweise klingt dies jetzt absurd, aber ein Stück weit verlange ich von meinem Land, dass es auch öffentlich zu der Akzeptanz dieser “Randgruppe” steht und versucht, andere Länder auf die richtige Spur zu bringen.

    Ich bin unendlich froh und auch dankbar, dass es hier in Deutschland und in ganz vielen anderen Ländern die Möglichkeit gibt, für die Rechte der LGBTQ+ Community zu stehen, darauf aufmerksam zu machen und vor allem es zu leben. Einfach Mensch zu sein!!

    Danke, dass ihr mit eurem Magazin so einen großen Teil zur Aufklärung, Sichtbarkeit und Toleranz beitragt!

    So, und jetzt Ende der unendlichen Nachricht 😀

    Liebe Grüße

    1. Liebe Jules,
      vielen Dank für diesen tollen Kommentar! Du hat absolut Recht mit dem, was Du schreibst. Den Dank gebe ich an das ganze Busenfreundin-Team weiter, die jeden Tag ihre Energie und ihre Ideen in diese Plattform miteinbringen. Und der Dank gilt Menschen wie Dir, die sich aktiv an diesem Diskurs beteiligen!
      Ganz liebe Grüße
      Ricarda

  2. Hey,

    es wurde alles geschrieben was mir auch am Herzen liegt. Es berührt mich und es macht mir immer Bauchschmerzen und ich weiß nicht was ich dagegen tun kann, außer das Aussprechen der Tatsache mit vielen Menschen die mir begegnen und Mut zeigen, mich mit meiner Liebe öffentlich zu zeigen, damit es NORMAL wird. Als ich vom Dorf in die Stadt kam und mehr gleichgeschlechtliche Paare zusammen sah oder wie du es sagst das erste Mal auf dem CSD, machte es bei mir komische Gefühle im Bauch, obwohl ich von Natur aus sehr offen bin hmm…was der Mensch nicht kennt, ist ihm Ungeheuer.. Wir leben ja schon eine Weile auf dieser Erde…und dieser Kampf ist ein winziger Bruchteil von vielen Jahren. Traurig aber wahr! Ich hoffe sehr, dass die anderen Länder mit Deutschland baldmöglichst mitziehen.?Ich glaube es wird in der nächsten Generation toleranter sein. Das ist der Lauf der Dinge und das ist den Menschen zu verdanken, die wie ihr z.B. gerade dafür kämpfen!:) DANKE!❤?✌

  3. Liebes Busenfreundin* Magazin Team,

    ich kann mich den ganzen konstruktiven Beiträgen nur anschließen. Es ist ein Angriff auf die offene Gesellschaft und damit auf uns alle – allein der Titel ” Atlas des Hasses”. Ich muss ständig den Kopf schütteln. W I E S O ? Wir kommen als unberührte Seelen auf die Welt und müssen und selbst in heutigen Zeiten so viel Hass und Leid ertragen. Woran liegt das – wird etwa auf der Tagesplanung im EU- Parlament nur oberflächlich gelesen ” Oh Polen eröffnet LGBT-freie Zonen?” oder muss es alles noch größer gestaltet werden ( natürlich nicht) , um mehr Gehör zu erhalten… Es macht mich einfach wütend und vielleicht liegt es auch ein Stückweit darin begründet, dass ich selbst Polin bin, lesbisch bin und in Berlin wohne. Es klingt vielleicht direkt aber ich schäme mich irgendwie für dieses Land und möchte ungern auf meine polnischen Wurzeln reduziert werden . Neulich unterhielt ich mich erst mit meiner Mutter darüber und sie hat diesbezüglich auch eine klare Haltung: ” Jeder soll sein Leben leben und es so gestalten wie er es möchte”. Als ich mein Outing hatte meinte sie nur ” Hauptsche du bist glücklich. Es interessiert mich nicht, mit wem du abends ins Bett gehst.” Natürlich reagieren nicht alle aus meiner Familie so wie meine Mutter. Jedoch halten wir zu denen viel Abstand, den Diskussionen haben keine Einsicht gebracht. Natürlich ärgert es mich, dass der Horizont einiger Menschen so gering es, jeoch ermöglichen diese Menschen* eine Horizonterweiterung für mich.
    Es wurde so hart für Freiheit gekämpft, teilweise immernoch und irgendwie überkommt einen dieses Ohnmachtsgefühl, wenn man solche Nachrichten lesen muss.
    Vielleicht sollten wir an jede Säule die uns über den Weg läuft, sticker mit #loveislove anbringen, eure Artikel an jeden aus der Freundesliste weiterleiten oder sonstiges. Ich bin für viele Ideen zu haben!

    Liebe Grüße,
    Nicole

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