Autorin: Patricia Bauer
Vor zwei Jahren wurde in Polen die erste „LGBT-freie Zone” ausgerufen – Lesben, Schwule und trans Personen existieren dort angeblich nicht. Mittlerweile haben sich einige weitere polnische Städte und Regionen angeschlossen. Gemeinsam mit der LGBTI Intergroup des Europäischen Parlaments will EU-Politikerin Terry Reintke darauf aufmerksam machen: Im Rahmen einer Foto-Aktion ruft sie die „LGBTI Freedom Zone” aus, in der jede:r frei lieben und leben kann. Was genau es damit auf sich hat und was noch gegen LGBTIQ-Hass unternommen wird, verrät sie im Interview mit „Busenfreundin – das Magazin”!
Im Rahmen der „LGBTI Freedom Zone” soll die Regenbogenflagge quer durch Europa wehen. Jeder kann mitmachen, in der er:sie ein Foto mit einer Regenbogenfahne vor einer Sehenswürdigkeit macht und vom 8. bis 10. März auf den gängigen Social Media-Kanälen postet.
Busenfreundin-Magazin: Terry, wie kam es zu der Idee einer Fotoaktion?
Terry Reintke: Wir hoffen mit der Resolution Aufmerksamkeit für die sich immer weiter zuspitzende Lage für Teile der LGBTIQ-Community in Europa, vor allem aber auch Polen, zu erzeugen. Das positive Feedback zu der begleitenden Fotoaktion auf Social Media freut uns wirklich sehr. In dieser Woche wird die Regenbogenfahne digital, aber gut sichtbar durch ganz Europa wehen. Die Zusagen aus der Politik, wie von Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth oder Staatsminister Michael Roth, aber auch von bekannten Medienpersönlichkeiten wie dem Influencer Riccardo Simonetti oder auch von Ricarda geben uns da gut Rückenwind.
Busenfreundin-Magazin: Erzähle uns mehr über die derzeitige Lage in Polen.
Terry Reintke: Zwei Jahre ist es jetzt her, dass in Świdnik die erste LGBTI-Ideologie freie Erklärung verabschiedet wurde. Seitdem sind einige Städte und Regionen in Polen hinzugekommen. Es kann nicht sein, dass in der EU eine solche Situation über einen so langen Zeitraum zugelassen wird. Dazu kommen inzwischen auch strategische Klagen, sogenannten SLAPPs (Strategic Lawsuit Against Public Participation), gegen Aktivist*innen, die sich gegen diese Diskriminierung einsetzen. Deren wichtige Arbeit wird stark erschwert.
Busenfreundin-Magazin: Welchen Output erhoffst du dir bei der Fotoaktion? Was soll sie in Gesellschaft und Politik auslösen?
Terry Reintke: Es geht auch um moralische Unterstützung all der Menschen, die sich jeden Tag für die Rechte der Community einsetzen und so viel Hass und Schikane einstecken müssen. Für uns soll diese Aktion der Startschuss eines größeren Prozesses werden. Dieser soll auch Teil der Diskussion zu der vor kurzem vorgestellten LGBTIQ-Strategie der Europäischen Kommission sein. Wir wollen einen Dialog starten mit Politiker*innen, Wissenschaftler*innen, Vertreter*innen der Zivilgesellschaft und Medien. Darüber, wie wir die Rechte der LGBTIQ Community in ganz Europa besser schützen und stärken können.
Ich würde mir wünschen, dass wir uns weiter solidarisieren mit den Menschen, die unter der politischen Situation in ihrem Land leiden, und an ihrer Seite für Sichtbarkeit und Akzeptanz kämpfen.
Busenfreundin-Magazin: Was sind die konkreten Schritte der EU, um die LGBT-freien Zonen abzuschaffen?
Terry Reintke: Ursula von der Leyen hat hier zwei der wichtigsten Instrumente in der Hand. Zum einen kann die Europäische Kommission Vertragsverletzungsverfahren einleiten, wenn ein Mitgliedsland gegen gemeinsame Werte und Regeln verstößt. Wir fordern seit Beginn, dass im Fall der sogenannten „LGBT Free Zones” genau solch ein Verfahren dringend nötig ist. Zum anderen kann die Kommission bei solchen Verstößen auch den Geldhahn zudrehen. Anfang dieses Jahres wurde ein Rechtsstaatsmechanismus verabschiedet. Bei Verstößen, zum Beispiel gegen die Achtung von Grundrechten oder gegen die Gleichbehandlung vor dem Gesetz, können die Auszahlungen von EU-Geldern eingefroren werden.
Leider ist Ursula von der Leyen bei beiden Schritten sehr zögerlich. Ein Grund mehr, mit der LGBTIQ Freedom Zone-Resolution ordentlich Lärm im Parlament und in der Community zu machen.
Busenfreundin-Magazin: Wie viel Einfluss hat die EU auf schlimme Geschehnisse in Nicht-EU-Ländern wie der Türkei, dem Iran oder Ghana?
Terry Reintke: Die EU kann vor allem bei der Stärkung der Zivilgesellschaft ansetzen. LGBTIQ-Organisationen müssen dort unterstützt werden, wo ihre Arbeit von staatlicher Seite systematisch erschwert, behindert und kriminalisiert wird. Vor allem bei der internationalen Vernetzung und dem Austausch zwischen queeren Organisationen sollte die EU mehr fördern und unterstützen. Das ist nicht zuletzt auch ein wichtiges Signal an die Aktivist*innen in den betroffenen Ländern, dass sie mit ihrem Engagement nicht alleingelassen werden. Dafür ist es notwendig, das Europäische Instrument für Demokratie und Menschenrechte zu stärken und finanziell besser auszustatten.
Als LGBTI Intergroup unterstützen wir ganz konkret zum Beispiel die Menschenrechtskonferenz im Rahmen des World Prides in Kopenhagen in diesem Jahr. Dort kommen Abgeordnete aus der ganzen Welt zusammen, die sich für die Rechte der LGBTIQ Community einsetzen. Mit unseren festen Strukturen in Brüssel hoffen wir zu einem Koordinationsknoten dieses Netzwerks auch über die Konferenz im Sommer hinaus zu werden.
Busenfreundin-Magazin: Wo wünschst du dir mehr Einsatz im Kampf gegen LGBT-Feindlichkeit?
Terry Reintke: Ganz ehrlich: Überall! Wir sprechen viel über die Situation in Polen und Ungarn. Aber ähnliches trifft auch auf viele andere EU-Mitgliedsländer zu. Und auch in Deutschland gibt es viel Nachholbedarf. Zum Beispiel das Transsexuellengesetz, das schon jahrzehntelang schlimmes Leid, Zwang und hohe Kosten für die Betroffenen verursacht, muss endlich abgeschafft und durch ein Selbstbestimmungsgesetz ersetzt werden. Leider wird das immer noch durch die Bundesregierung blockiert.
Auf europäischer Ebene sehen wir erste Fortschritte durch die LGBTIQ Strategie der Europäischen Kommission. Die sieht u. a. vor, dass die Verfolgung von Hassreden und Hasskriminalität gegen LGBTIQ Personen verschärft wird. Wir hoffen daher auf eine schnelle Umsetzung der angekündigten Initiative zur Ausweitung der Liste der EU-Verbrechen auf alle Formen von Hassverbrechen und Hassreden einschließlich Geschlechtsidentität und sexueller Orientierung.
Busenfreundin-Magazin: Ist das EU-Parlament divers genug? Wo gibt es Nachholbedarf?
Terry Reintke: Es überrascht wahrscheinlich nicht, wenn ich sage, dass ich mich noch immer sehr häufig in Sitzungen mit überwiegend weißen, heterosexuellen cis Männern wiederfinde. Aber ich sehe natürlich, dass es trotzdem vorangeht. Zum Beispiel ist der Anteil von weiblichen Abgeordneten mit über 40% in dieser Legislaturperiode so hoch wie nie.
Dann wiederum sind es aber auch oft die kleinen Dinge, die tief verwurzelt sind in den Strukturen dieses Parlaments. Obwohl die Hälfte der Vizepräsident*innen weiblich ist, steht auf dem Schild „Die Präsidenten des Europäischen Parlaments“ geschrieben. Mit der LGBTI Intergroup bemühen wir uns die Regenbogenfarben wo es geht gut sichtbar zu machen. Ich arbeite über die Fraktionsgrenzen hinaus mit einer ganzen Reihe offen queerer Abgeordneter zusammen und wir versuchen hier auch ein Vorbild zu sein.
Ich würde mir wünschen, dass es mehr Menschen aus der Community ermutigt sich einzubringen und für politische Ämter zu bewerben.
Busenfreundin-Magazin: Wird LGBT in deinen Augen auch bei der diesjährigen Bundestagswahl eine größere Rolle im Wahlkampf einnehmen?
Terry Reintke: Viele denken, dass mit dem Schritt zur Ehe für alle jetzt das wichtigste Thema abgeräumt ist. Aber es gibt auch in Deutschland noch so viel zu tun. Über die Reform des Transsexuellengesetzes habe ich schon gesprochen. Aber auch die Aufnahme von LGBTIQ als besonders schützenswerte Gruppe ins Grundgesetz, die Anerkennung der Co-Mutterschaft ohne Stiefkindadoption bei lesbischen Paaren oder die Bekämpfung von homo- und transfeindlichen Gewalttaten durch einen bundesweiten Aktionsplan bleiben wichtige Themen im Wahlkampf.
Ich hoffe sehr, dass queere Menschen sich an der nächsten Bundestagswahl beteiligen und ihr Kreuz bei einer Partei machen, die sich für ihre Anliegen einsetzt. Nur so können wir bei diesen Themen vorankommen.
Busenfreundin-Magazin: Wenn du auf einen Schlag ein politisches Problem auf der Welt lösen könntest, welches wäre das?
Terry Reintke: Mein größter Wunsch ist wohl, dass jeder Mensch auf dieser Welt so leben und lieben kann, wie sie* oder er* möchte – frei von Angst und Diskriminierung. Der Weg dahin ist sehr lang und steinig. Aber auch das oder vielleicht vor allem das ist der Grund, warum ich mich als Abgeordnete im Europaparlament einbringe und gemeinsam mit meinen Kolleg*innen in der LGBTI Intergroup solche Aktionen, wie in dieser Woche zur LGBTIQ Freedom Zone, ins Leben gerufen habe.
Was denkt ihr über die LGBT-freien Zonen in Polen? Und macht ihr bei der Fotoaktion mit? Schreibt uns gerne einen Kommentar!
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