Reggie war vor nicht allzu langer Zeit bei Busenfreundin im Podcast. Nach der Veröffentlichung erhielten wir viele Nachrichten zu der bewegenden Geschichte von Regina, wie sie richtig heißt. Wir hatten Reggie gebeten, ihre Geschichte für „Busenfreundin – das Magazin” aufzuschreiben.
Hi, ich bin Reggie! Ich bin heute mehr als glücklich in einer Beziehung mit einer wunderbaren Frau. Vor drei Jahren sah das noch anders aus. Dafür muss ich etwas weiter ausholen: Ich bin auf dem Land geboren und mit meiner Familie (meiner Mutter, zwei Brüdern und einer Schwester) in eine Vorstadt von Bonn gezogen.
Mein Vater wurde, als ich sechs Jahre alt war, nach Angola abgeschoben und verstarb als ich 13 war. Meine Familie ist sehr gläubig (evangelisch um genau zu sein). Schon als Säugling war ich jeden Sonntag stundenlang, teilweise mit Übernachtungen, in einer Freien Evangelischen Gemeinde.
Der Bekanntenkreis meiner Mutter beschränkte sich auf die Gemeindemitglieder und Menschen, die, wie sie, aus Angola stammen. In meiner Kindheit drehte sich alles um Religion. Bevorzugt lief bei uns „Bibel TV“ oder Predigten von Propheten auf YouTube.
Wir mussten ständig beten: Nach dem Aufstehen, vorm Zubettgehen, vor und nach dem Essen, bevor wir das Haus verließen, wenn wir zurück kamen, wenn etwas passiert ist und und und … Ich hatte einmal eine heftige allergische Reaktion beim Essen und meine Mutter setzte den Notruf erst ab, nachdem sie gebetet hatte.
Mit 14 Jahren wusste ich, dass ich diese Art des Glaubens, den meine Mutter vorlebte, nicht teilte. Ich wusste auch, dass mein sexuelles Interesse nicht nur Männern zugeschrieben war. Und da hatte ich schon den Salat: Nach einem Wutausbruch von mir in der Gemeinde, entschloss ich, diese zu verlassen. Ab diesem Tag sah meine Mutter nur noch das Böse in mir. In ihren Augen brachte ich Schande über die Familie, andere Gemeindemitglieder verspotteten meine Mutter und gaben ihr Erziehungstipps.
Vor drei Jahren wurde ich von einem Familienmitglied vor meiner Mutter geoutet. Zu dem Zeitpunkt hatte ich erst kurze Zeit eine Freundin. Zwei Wochen hatte ich jeden Tag ein erhöhtes Stresslevel und Angst um mein Leben.
„Mein Bruder schrie mich an und versuchte mir zu vermitteln, dass ich nicht verloren sei“
Kurz vor meinem 20. Geburtstag wollte mein älterer Bruder, der schon längst nicht mehr bei meiner Mutter wohnte und von sich selbst behauptete, er sei ein Prophet (vermutlich eine Folge vom Drogenmissbrauch; bis heute anhaltend), mich unbedingt sprechen.
Den Kontakt hatte ich schon vor langer Zeit bewusst abgebrochen. In der Vergangenheit schlug er mich oft windelweich und meine Mutter ließ es zu. Er kam trotzdem zu meiner Mutter um mich zu bekehren. Unser Aufeinandertreffen mündete in eine Rangelei, ich fiel zu Boden, er stürzte sich auf mich und fing an, mir die Luft abzuschnüren. Er schrie mich an und versuchte mir zu vermitteln, dass ich nicht verloren sei und wir alles wieder ins Normale ändern könnten. Meine Mutter sah zu und nahm mir das Handy weg, mit dem ich versucht hatte, die Polizei zu rufen.
Ich trat die Garderobe im Eingangsbereich mit aller Kraft kaputt, da ich nicht schreien konnte. Meine Nachbarn hörten es und riefen die Polizei. Ich konnte mich befreien und lief instinktiv zur Küche, nahm ein Messer und lief dann zur Balkontür, um der lebensbedrohlichen Situation zu entkommen.
„Meine Familie war für mich gestorben!”
Als die Polizei eintraf, vernahmen die Beamten alle, die etwas mitbekommen hatten und fragten zuletzt meine Mutter, wer der Wohnung für einige Tage verwiesen werden solle. Ohne zu zögern zeigte sie auf mich. In dem Moment ist meine Mutter ein Stück weit für mich gestorben. Es tat so unfassbar weh. Ich war einige Tage bei einem Freund (der ähnliches durchgemacht hatte) und durfte bei meiner Schwester schlafen.
Wie sich ein Jahr später herausstellte war sie diejenige, die mich vor meiner Mutter geoutet hatte. Unsere Mutter hatte sie unter Druck gesetzt, bis sie es ihr schließlich sagte. Bis heute versteht sie nicht, was sie damit angerichtet hat. Bis heute fallen Sätze wie „Das kannst du deiner Mutter nicht antun”, „Du bringst sie ins Grab”, „Wieso bist du so undankbar”, „Wir sind deine Familie, sowas kannst du nicht auslöschen”.
Die Wochen darauf war ich immer mal wieder bei meiner damaligen Freundin oder woanders. Ich arbeitete in einer Diskothek, ging gelegentlich putzen und wartete auf einen Ausbildungs-beziehungsweise Studienplatz. Ich erhielt in dieser Zeit keine Unterstützung von meiner Familie und war auf mich allein gestellt. Ich erntete nur Vorwürfe, Schuldgefühle und hatte Angst, meinem Bruder zu begegnen.
„Die Angst machte mich krank“
Ein Bekannter nahm mich in seiner Wohnung auf, in der eine gute Freundin von mir auch lebte. Ich konnte dort ein halbes Jahr bleiben, bis ich eine WG mit einem Freund gefunden hatte. Ich erhielt einen Ausbildungsplatz, war aber psychisch so am Boden, dass ich nach einigen Monaten und begleitenden Selbstmordgedanken freiwillig in eine Psychiatrie ging. Ich habe mein Leben lang versucht stark zu sein und mit Themen wie häuslicher Gewalt, Depression und Identitätsfindung selbstständig umzugehen. Meine Mutter litt lange nach der Abschiebung meines Vaters unter Depression, posttraumatischer Belastungsstörung und körperlichen Beschwerden, die sie bis heute einschränken. Sie konnte nie darüber reden. Also taten meine Geschwister und ich es auch nicht, wenn es um diese Themen ging.
In der letzten Therapie konnte ich vieles für’s Leben lernen und einige Traumata aufarbeiten. Mit diesem Werkzeug an der Hand konnte ich mein neues freies Leben aufbauen und selbst gestalten.
Zu meiner Familie habe ich, außer zu meinem jüngeren Bruder, keinen Kontakt mehr. Nach dem meine Mutter mir zum sechsten Mal am Telefon gewünscht hat, dass ich Aids bekomme und ganz viele andere schreckliche Dinge sagte, habe ich die Hoffnung aufgegeben, dass sie mich irgendwann akzeptieren wird wie ich bin und den Kontakt abgebrochen. Auf der Straße fange ich schiefe Blicke und Moralkeulen von Bekannten und Verwandten ein. Aber ich stehe meine Frau und werde mich niemals wieder von solchen Menschen niedermachen lassen! Ganz im Gegenteil stehe ich auf, zeige wer ich bin und wofür ich stehe.
Ich möchte mit meiner Geschichte anderen Mut machen und Hoffnung geben, dass man sich aus solchen misslichen Lebenslagen retten kann.
Hier findet ihr Telefonnummern von Hilfsorganisationen für psychische oder finanzielle Krisen und Obdachlosigkeit.
Was denkt ihr über diese aufwühlende Geschichte? Kennt ihr selbst ähnliche Schicksale? Schreibt es uns gerne in die Kommentare!
In dieser Kategorie finden eure Geschichten Gehör:
Abonniert gerne unseren Newsletter, wenn ihr stets up to date sein wollt: